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Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Mitte von Berlin hat am Donnerstag, 22. März 2018, der „Beschlussempfehlung zur Vorlage zur Beschlussfassung“ (so heißt das wirklich) mit dem Titel „Verordnung über die Erhaltung der städtebaulichen Eigenart für das Gebiet Nikolaiviertel“ (DS 0892/V) mit den Stimmen der Fraktionen von SPD, Bündnis90/Die Grünen und Die Linke zugestimmt. Vorausgegangen war eine mehrmalige Diskussion im Ausschuss für Stadtentwicklung, eine Anwohner*innen-Veranstaltung des Bezirksamtes in der Nikolaikirche und in der BVV selbst eine sogenannte „Thematische Stunde“ auf Antrag der Fraktion der CDU. Der Denkmalschutz war ja bereits Ende letzten Jahres vom Land Berlin erlassen worden.

Die Sprecher von SPD und Grünen zeigten sich in der BVV erstaunt darüber, dass nach jahrelanger Beschäftigung mit der Erhaltungssatzung und dem Denkmalschutz eine Fraktion immer noch Gesprächsbedarf sah. Ich bedankte mich in meinem Redebeitrag bei dem damals für Stadtentwicklung zuständigen Stadtrat Carsten Spallek (CDU!!), der einen Bezirksamtsbeschluss schon Januar 2016 (!!) herbeigeführt hatte, in dem die Erstellung einer Erhaltungssatzung veranlasst wurde. Vorangegangen waren je ein Antrag der SPD-Fraktion und der Grünen, in denen jeweils Erhaltungssatzung und/oder Denkmalschutz fürs Nikolaiviertel gefordert wurden. Stadtrat Spallek hatte die Geschäftsführung der WBM (der ein Großteil der Gebäude im Viertel gehört) über das Ansinnen der BVV informiert, es liegt auch ein Antwortschreiben des damaligen Geschäftsführers Lars Ernst vor. Das ist insofern bemerkenswert, als der jetzige Geschäftsführer der WBM, Kowalewski, neulich im Landesdenkmalrat sich erdreistete zu behaupten, dass die WBM von der Erhaltungssatzung völlig überrascht worden sei. Das nennt mal wohl heute „Fake-News“.

Der Wunsch nach Schutz für das Viertel ging übrigens von den Gewerbetreibenden vor Ort aus, die sich im Nikolaiviertelverein seit Jahren organisiert haben. Nachdem sich Herr Kurt von Bündnis90/Die Grünen und ich über die Gegebenheiten im Nikolaiviertel informiert und viele, viele Gespräche mit Gewerbetreibenden und Anwohnern geführt hatten, brachten wir die entsprechenden Anträge in die BVV ein. Anlass für den Wunsch nach Schutz war das Vorhaben der WBM, zumindest Teile der Arkaden zu schließen, um so mehr Verkaufsraum zu gewinnen und die Gewerberäume besser vermieten zu können. Fragte man die Ladenbetreiber, die davon betroffen sein sollten, hört man nur: „Um Gottes Willen, uns reichen die Flächen, mehr Miete können wir uns gar nicht leisten!“. Zudem sollten die Geschäfte für den Umbau mindestens ein halbes Jahr geschlossen werden – das war und ist für keinen der Ladenbetreiber akzeptabel.

Neben dem zugegebenermaßen großen Problem der U-5-Baustelle rund um das Viertel und die damit teilweise ausbleibenden Passantenströme, kommt aber im Nikolaiviertel die Unfähigkeit der WBM hinzu, ein stringentes Konzept für den Ladenmix und das Betreiben der Ladenstraßen vorzulegen. Die Wohnungsbaugesellschaft beauftragte daher vor etwa zweieinhalb Jahren „Die Raumplaner“ mit einer Geschäftsstraßen-Analyse. Diese wurde erstellt, in ihr machten die Fachleute auch viele Vorschläge, wie die Struktur im Nikolaiviertel optimiert werden könne. Keine der vorgeschlagenen Maßnahmen setzte die WBM um, vielmehr hielt man an der Schließung der Arkaden fest, ohne die eigentlichen Ursachen für die Schwachstellen zu beseitigen. Interessanterweise veröffentlichte die WBM nur die Passagen aus der Analyse, die ihr in den Kram passten. Das gesamte Papier der „Raumplaner“ ist bis heute nicht zugänglich, die WBM sträubt sich mit Händen und Füßen dagegen – auch einem in der BVV einstimmig gefassten Beschluss der SPD-Fraktion, die WBM zur Veröffentlichung zu bewegen, widersetzte sich die landeseigene (!!!) Wohnungsbaugesellschaft. Nun bleibt nur noch eine Klage nach dem Informationsfreiheitsgesetz. Traurig.

In der Diskussion am 22. März in der BVV wurde wieder ganz klar, dass Klientelpolitik betrieben wurde: sowohl die Sprecher von CDU als auch von FDP argumentierten mit negativen Bescheiden zu einzelnen „Veranstaltungen“ im Viertel, monierten z.B., dass die als „Weihnachtsmarkt“ getarnte Veranstaltung „Feuerzangenbowle“ vor der Nikolaikirche nicht schon vor dem Volkstrauertag eröffnet werden darf. Solche Aussagen zeugen von einer unglaublichen Unwissenheit, dass es schon wehtut: in ganz Deutschland dürfen – nach Vereinbarung mit den beiden großen christlichen Kirchen – Weihnachtsmärkte grundsätzlich erst zu diesem Zeitpunkt starten! Wenn ein Veranstalter z.B. eine Bühne aufbaut und diese nicht genehmigen lässt, dann bekommt er an allen Stellen der Stadt Probleme – nicht nur im Nikolaiviertel. Ganz einfach. Und wenn ein Geschäftsführer der (landeseigenen!!!) Stiftung Stadtmuseum die schon seit Jahrzehnten unter Denkmalschutz stehende Nikolaikirche mißachtet und dort Plakate an der Fassade der Kirche befestigt oder irgendwelche „Tonnen“ aufstellt, die dem Denkmalschutz zuwiderlaufen, dann ist das mehr als bedenklich. Noch bedenklicher aber, wenn Bezirksverordnete die Verwaltung dazu aufrufen, die Gesetze im Nikolaiviertel nicht so eng auszulegen. Da driftet die Debatte dann ins Bizarre. Mein Rat an alle, die sich an der Diskussion ums Nikolaiviertel beteiligen: lasst Euch auch mal im Viertel blicken, vertraut nicht blind eigenen Parteifreunden, die im Viertel für Unruhe sorgen und einerseits Unwahrheiten verbreiten und Mitglieder von Vereinen mobben oder sich der üblen Nachrede verdächtig machen! Und großes Mißtrauen gegenüber der WBM, die von Geschäftsstraßenmanagement erwiesenermaßen wenig Ahnung hat und angebliche „Ängste“ bei der Gewerbetreibenden noch schürt, anstatt für Frieden zu sorgen und sich um die eigenen Mieter und Belange zu kümmern.

Und vielleicht noch etwas: am besten die Drucksachen lesen, bevor man sich schlau darüber äußert und den zuständigen Stadtrat und die hinter ihm stehende Fraktion als „Verein“ zu diskreditieren versucht! Wissen schützt vor Strafe! In diesem Sinne: es ist vollbracht und es bleibt zu hoffen, dass nun wieder Frieden ins Nikolaiviertel einkehrt. 

Gleich auf der anderen Seite der Spree, wenn man vom Wullenwebersteg nach rechts abbiegt, kommt man an ein weiteres Denkmal oder eine Stele – oder wie immer man das nennen soll. Es oder sie steht neben einem verschmierten und demolierten Hinweisschild auf eine „geschützte Grünanlage“ (kann man gerade noch so entziffern). Diese Gedenktafel erinnert an den Rabbiner Menachem M. Schneerson (1902 – 1994), der an dieser Stelle (Hansaufer 7) von 1928 – 1931 gelebt hat. Er gehörte zu den bedeutendsten Rabbinern seiner Zeit. Er war das Oberhaupt der Chabad-Bewegung.

Auch diese Hinweistafel hat ihre besten Jahre hinter sich – um es freundlich auszudrücken. Sie benötigt dringend einer Sanierung und/oder Renovierung. Wer fühlt sich verantwortlich?

Und wer ist für das – vergleichsweise profane – Hinweisschild auf die geschützte Grünfläche verantwortlich? Ich wage mal die Vermutung: das Bezirksamt. Und? Muß es erst abfallen oder ganz abgerissen werden bis es ersetzt wird?

Es macht immer wieder Sinn, mit offenen Augen (und Ohren!) durch die Straßen des Bezirks zu schlendern.

Wer fühlt sich verantwortlich?

Wer fühlt sich verantwortlich?

Die Gedenktafel für "Rebbe" Menachem Mendel Schneerson

Die Gedenktafel für „Rebbe“ Menachem Mendel Schneerson

Am Ende der Straße, wo  „Siegmunds Hof“ auf das „Schleswiger Ufer“ stößt, stehen zwei Denkmale, die erstens relativ schlecht lesbar sind und zweitens offenbar völlig unbeachtet bleiben, obwohl sie doch recht auffällig sind. Direkt vor dem Aufgang zum Wullenwebersteg (wer weiß, daß es eine Brücke diesen Namens zwischen Hansaviertel und Moabit gibt?) stehen sie – links der Sockel mit dem Schriftenrelief, rechts, etwas zurückgesetzt, die Schriftentafel. Beide Denkmale sollen daran erinnern, daß an dieser Stelle (Siegmundshof 11)  im Jahre 1924 eine (zweite – zusätzlich zu der in der jetzigen Tucholskystraße) Synagoge errichtet wurde, die dann 1939 von den Nazis geschlossen und im Krieg zerstört wurde. Das Gebäudereste wurden offenbar veräußert und 1955 abgerissen. Erst seit dem Dezember 1989 ist die jüdische Gemeinde wieder in ihrem angestammten Gemeindehaus in der Tucholskystraße tätig. Einzelheiten lassen sich hier nachlesen: http://www.adassjisroel.de/ . Ich habe gegoogelt und recherchiert: es ist nicht einfach herauszufinden, wer für diese beiden Denkmale verantwortlich ist, wer sie pflegt. Bisher ist es mir nicht gelungen. Vielleicht kann eine „Kleine Anfrage“ Licht ins Dunkel bringen.

Interessant auch die Geschichte der Straße „Siegmunds Hof“, die offenbar 1862 als Privatstraße von Johann Gottfried Siegmund (1792 – 1865) angelegt wurde. Erst 1888 erfolgte die öffentliche Widmung. Heute befinden sich mehrere Wohnblocks des Studentenwerks dort, das momentan erhebliche Renovierungen an den Häusern vornimmt.

Der Wullenwebersteg ist nach dem damaligen Lübecker Bürgermeister Jürgen Wullenwever (1492-1537) benannt, der – laut Wikipedia – wegen „Demokratisierung“ hingerichtet worden war. Der Steg nimmt den Namen der Straße in Moabit auf, mit der durch die Brücke eine Verbindung zum Hansaviertel besteht. Die aktuelle Brücke wurde erst 1957 erbaut und ersetzte die im Krieg zerstörte Achenbach-Brücke, die 1907 eingeweiht worden war.

Was man nicht so alles Interessante über „seinen“ Bezirk bei einer solchen Tour erfährt!

Die Tafel weist auf die Modernisierungsarbeiten hin.

Die Tafel weist auf die Modernisierungsarbeiten hin.

Eines der beiden Denkmale zu Erinnerung an die Synagoge an dieser Stelle

Eines der beiden Denkmale zu Erinnerung an die Synagoge an dieser Stelle

Ein weiteres Denkmal unmittelbar neben dem Wullenwebersteg

Ein weiteres Denkmal unmittelbar neben dem Wullenwebersteg